June 18, 2003

XXL

N 40° 00.794´ W 105° 15.603´ (Boulder, CO)

Alles an diesem Land ist XXL: die Gebäude, das Übergewicht der Mitreisenden, die Essensportionen, die Kaffeetassen, die Betten, die Fernseher, die Entfernungen, die Selbstbewusstseinssimulation, die Freundlichkeitssimulation, die Stillosigkeit, der Service und der Verfall. Es scheint als wäre europäische Mässigung hier einfach wegoptimiert worden. Der einfachste Weg Wettbewerb zu betreiben ist immer erstmal "mehr". Qualität erscheint irgendwie zweitrangig.

Auf der Fahrt mit dem Shuttle bewundere ich die doch stark an Osteuropa / Russland erinnernden Elektro- und Telefonkabelinstallationen. Es ist schon ein anderer Engineering-Stil der hier gepflegt wird, aber die grundsätzliche Sorglosigkeit ist ähnlich. Zum Ausgleich gibt es Unmengen von Warnschildern. Offenbar gilt die Grundannahme das die Fähigkeit das eigene Handeln vorrausschauend zu gestalten nur bei einer Minderheit vorhanden ist. Auch die Verkehrsschilder sind explizit. "Left lane must turn left" Die Frage ist natürlich wie sich das alles mit der Analphabetenquote vereinbaren lässt.

Mein Hotelfenster wird durch einen Aufkleber sicher gemacht:
"DO NOT LEAVE CHILDREN UNATTENDED NEAR OPEN DOORS OR WINDOWS".

Das Schwimmbad des Hotels (es wirkt auch so ein kleines bischen russisch) wartet an jeder vormals unbeschilderten Fläche mit einem "ATTENTION! NO LIFE GUARD ON DUTY!"-Hinweis auf. An der Hoteltür hängt eine Seite Kleingedrucktes in der die unerfreulichen Dinge erläutert werden die man hierzulande so mit Zechprellern tut. Liest sich nicht sehr attraktiv.

Direkt neben dem Hotel ist ein Safeway-Supermarkt, natürlich auch in XXL. Das Produktangebot ist durchaus vielsagend. Milch und Orangensaft gibt es ausschliesslich in mindestens mit Calcium angereicherter Form. Selbst bei gutwilliger Betrachtung entsteht der Eindruck das es in den nächsten Jahren irgendwelche bizzarren Calcium-Überversorgungs-Symptome gibt. Vieleicht manifestiert sich das ja schon in Form des etwa 4 Meter langen und in volle Höhe bestückten Regals für Abführmittel im Safeway. Auffällig ist das das Angst-Marketing hier schon wesentlich krassere Züge angenommen hat als in Deutschland. Das Wort "Safe" findet sich auf etwa jedem zweiten Produkt. Und natürlich im Namen des Supermarkts. An der Kasse wird man als Nicht-Safewaykarten-Besitzer und obendrein noch Barzahler schon ein bischen mitleidig-verwundernd angesehn. Die Kassierinnen tragen "Serving since 1989" (oder was auch immer die passende Jahreszahl ist)-Namensschildchen. 14 Jahre im Dienster der Sicherheit. Wow. (Schade das es im deutschen keine Worttrennung zwischen "Safety" und "Security" gibt).

Mit Koffein und Schwimmen bleibe ich bis 21h Ortszeit wach. Die Nacht ist wirr wie immer nach langen Flügen aber morgens bin ich immerhin halbwegs synchron mit der Ortszeit.

Posted by frank at June 18, 2003 04:05 AM | TrackBack