June 19, 2003
Wegen der Sicherheit
Ich entwickele langsam ein Verständnis für die unterschiedlichen Sicherheitskulturen hier und in Deutschland. Alles macht hier den Eindruck als wäre die allgemein postulierte Freiheit zu viel Risiko für die meisten Leute. Unbewusste Furcht wird zum Treiber vieler Handlungen, egal ob beim Einkaufen oder beim zupflastern der Umgebung mit Warnhinweisen. Michael Moore hat vollkommen recht mit der Aussage von "Bowling for Columbine", im Kern sind viele Amerikaner ängstlich mit all den bekannten Folgen. Das so heftig zur Schau getragene Selbstbewusstsein macht sehr oft den Eindruck eines Schutzpanzers.
Das Fernsehprogramm ist bis auf den Doku-Sender A&E total unerträglich. Fox ist mit weitem Abstand das schlimmste Programm. Während eines Interviews mit einem Politiker zum geplanten Sturz des kalifornischen Gouverneurs unterbricht die Ansage-Tante den Interviewpartner mitten im Satz: "Sorry, Peter. We have a car chase going on in Los Angeles, and we believe it is a black Toyota Camry. Police is following the car now for 2 hours, trying to avoid one of the notorious high-speed chases. ..." Während sie spricht teilt sich der Bildschirm, die rechten zwei Drittel werden von den Hubschrauberbildern der Autojagd eingenommen während sie dann im linken Drittel das Interview mit dem Politiker zuende führt. Einer der Amerikaner hier nannte Fox "the station for the educationaly challenged rednecks".
Ein Kanal namens CourtTV sendet den ganzen Tag Kriminalfälle in einer Detailiertheit bis in die Pathologie die nicht mehr mit Journalismus zu entschuldigen ist. Unterbrochen werden die Fälle von lustigen Quizfragen a la:
Die Leiche von Ms. Miller wurde in der Tiefkühltruhe ihres Ex-Mannes gefunden. Um seine Schuld nachweisen zu können ist die Bestimmung des Todeszeitpunktes wichtig. Wie würden die Ermittler vorgehen:
a) Verwesungszustand der Leiche bestimmen
b) Körpertemperatur der Leiche messen
c) die Bankauszüge und Telefonrechnung der Verstorbenen analysieren
(im Hintergrund sieht man ein Standbild der fraglichen Tiefkühltruhe)
Antwort: natürlich c), gefolgt von der Ermittlerin die im Detail erklärt warum a) und b) nichts bringen. Diese Sendung lief nicht etwa im Nachtprogramm, das war Frühstücksfernsehn.
Zur Furcht vor dem allgemeinen Alltagsrisiko kommt bei den Firmen dann hier noch die Angst davor verklagt zu werden. Die Produkt-Beipackzettel nehmen teilweise schon absurde Formen an. Im Fernsehen lief grade eine Werbung für ein verschreibungspflichtiges Schlafmittel. Während der ersten Hälte pries die sanfte Frauenstimme die Vorzüge des Mittels an (endlich wieder zum Alltagsrythmus zurückfinden, nicht von den Kollegen komisch angeschaut werden wenn man im Meeting gähnt, wieder dazugehören). Während der zweiten Hälfte des Spots spricht die sanfte Frauenstimme bei unverändert harmonischer Bildgestaltung (Ehepaar wacht glücklich und ausgeruht zusammen auf, Vögel zwitschern) in genau dem gleichen werbend-einschmeichelnden Tonfall die Produktwarnhinweise (nicht länger als eine Woche nehmen, kann zu Durchfall, Kopfweh, Appetitlosigkeit, schwerer körperlicher Ahängigkeit und ähnlichem führen).
Der hohe Bedarf an Prozac, Psychoanalysten und sonstigen Seelenwartungsexperten hier verwundert mich nun genau nicht mehr. Der unreflektierte Konsum dieser permanenten Angstmacherei führt halt irgendwann dazu das es nicht mehr geht. Kein Fernsehen zu sehen ist hier noch wesentlich wichtiger für die geistige Gesundheit als in Deutschland.
Posted by frank at June 19, 2003 05:44 PM | TrackBack