Zwei Wochen warten

Das Wahlergebnis hat eigentlich vor allem eine Gruppe beschädigt: die Prognostiker. Nichtmal die sonst von mir bevorzugte Wahlbörse war in der Lage, dass Absemmeln der CDU/CSU vorherzusehen. Immerhin waren die Ergebnisse der kleinen Parteien halbwegs akkurat (wobei die Handelsbewegungen der letzten Stunden darauf hindeuten, dass zumindest jemand vor Wahllokalsschluss wusste, dass die FDP besser wird als vorhergesagt). Damit ist nun klar, dass alle derzeitig verwendeten Prognosesysteme Schrott sind, die normalen Umfrageergebnisse lagen ja am Ende noch weiter daneben. Wie schön, eine Marktlücke.

Das Koaltionsgeschacher ist angesichts des Ergebnisses nur noch mit einem guten Handbuch für angewandte Bizarrologie zu verstehen, in Neuseeland haben sie lustigerweise das gleiche Problem . (Danke Andreas ).

Die Dresdener werden sich noch sehr ärgern, dass ihre Verwaltung sich nicht schnell genug bewegt hat, um eine rechtzeitige Wahl zu ermöglichen. Nun da die Wahl im Wahlkreis 160 (diesen Begriff werden wir wohl bald nicht mehr hören können) wirklich entscheidend wird, geht Schröder da wahrscheinlich zwei Wochen lang persönlich die Schrebergärten abklappern, Kindergärten bauen und Deiche schippen. Die Übertragungswagen werden sich auf den Strassen stapeln, jeder auch nur ansatzweise telegene Einwohner wird mindestens zweimal interviewed und mit den Wahlwerbebroschüren können sie dort vermutlich noch mehrere Winter heizen. Vielleicht haben sie ja auch Glück und es rappelt sich vorher schon irgendwas zusammen in Berlin, viel Hoffnung habe ich aber nicht. Eigentlich ist es auch fast egal, viel Handlungsspielraum hat keine der denkbaren Koalitionen. Schön wäre es, wenn sie Beckstein in Bayern lassen könnten, der ist dort kulturraumkompatibler.

Das Entscheidungsproblem

Gerade war ich wählen, wenn auch nicht gerne. Seit Jahren nun wähle ich konstant das geringere Übel, diejenigen, von denen ich wider besseres Wissen annehme, sie würden die postulierten Ideale am wenigsten verraten, wenn sie an der Macht sind. Angesichts der Alternativen erschien es mir nach langem Grübeln auch dieses mal doch angeraten wählen zu gehen, wie gesagt, nicht gerne und eher widerstrebend.

Die Aussicht auf das anstehende Gehänge, angesichts des absehbar sauknappen Ergebnisses , macht mich auch nicht gerade froh. Erst wird es bis zum Montagmorgen ein Gerate und Gedeute um die letzten Zehntelprozente geben, dann beginnt die Ãœberhangsmandats-Rechnerei und dann das Ganze nochmal von vorn, sobald Dresden sich bequemt hat, dann doch mal zu wählen. Es kann natürlich sein, dass wir einen überraschenden Erdrutsch-Sieg der Kanzlerette sehen (dann wären die Vorhersageinstitute grandios blamiert). Immerhin würde uns das drei Wochen politische Agonie mit tausend Interviews von Auskennern und Spezialexperten auf allen Kanälen ersparen. Aber ob das vier Jahre kompromisslose Abschaffung der letzten Bürgerrechte und noch mehr fragwürdige Wirtschaftspolitik wert ist…

Vieleicht bekommen wir am Ende ja mal ein Wahlrecht, das einer westeuropäischen Zivilisation würdig ist. Ãœberhangmandate und Negatives Stimmgewicht sind doch nichts weiter als ein schlechter Patch für eine verkorkst implementierte Grundidee. Dass Parteien ohne Nachrückkandidaten antreten können, sollte sich wohl auch erledigt haben. Und das mit den Wahlmaschinen kann ohne öffentliche Untersuchung auch nicht durchgehen…

AirBerlin –> Blacklist

Bis auf weiteres werde ich nicht mehr AirBerlin fliegen. Eine so geballte Konzentration von Inkompetenz und Ignoranz habe ich bisher nur bei KLM erlebt (und die sind schon auf der Blacklist).
Wie man zwei Stunden damit zubringen kann, auf einem nicht ganz kleinen Flughafen wie Stanstead einen Ersatz für einen kaputten Pushback-Traktor (das Teil mit dem das Flugzeug aus der Parkposition rausgeschoben und rangiert wird) zu finden, kann ich einfach nicht nachvollziehen. Und in den zwei Stunden haben sie es nichtmal geschafft, was zu trinken zu verteilen (Zitat: “Wir haben nur genug Getränke für einen Service-Durchgang an Bord…”). Am Ende haben sie so lange rumverpeilt bis Tegel wg. Nachtflugverbot zu war und der Flug auf dem Dorfflughafen Schönefeld landen musste. Auf einer Aussenposition in strömendem Regen. Es blieb mir nichts anderes übrig als auf das obligatorische “Auf Wiedersehen!” mit “Sobald nicht!” zu antworten.

Kulinarische Absonderlichkeiten und Nahverkehrs-Verhalten

Die Vortragenden auf der Konferenz neigten leider alle etwas zum Überziehen ihrer 30-Minuten-Slots, deshalb hat das ganze dann doch länger gedauert als erwartet. Statt noch ein klitzekleines bisschen durch London zu schlendern, blieb mir nur das beschleunigte Auffinden eines Taxis, um noch rechtzeitig zum Stanstead-Express zu gelangen. Den Zug mit genügend Zeitreserve hab ich dann knapp verpasst und hatte dafür das fragwürdige Vergnügen, die kleinen Widerlichkeiten des örtlichen Nahverkehrs besser zu verstehen.

An der Liverpool Street Station fahren viele Züge ab, die Leute aus dem riesigen Londoner Umland benötigen, um zwischen Wohn- und Arbeitsstätte zu pendeln. Bei vorherigen Passagen durch diesen Bahnhof hatte ich nie genug Verweilzeit, um zu verstehen, warum in der Vorhalle immer so Unmengen Menschen mit Kopf in den Nacken gelegt stehen, die auf die Zuganzeige starren. Da ich nun eine Viertelstunde Zeit hatte, bis mein Zug kam, hat sich mir erschlossen, was da abgeht: das ist das Bahnsteig-Lotto. Offenbar ist das ganze Schienensystem so marode, dass die Züge keine fest zugeteilten Bahnsteige haben. Auf der Anzeigetafel wird mit Einfahrt des Zuges der Bahnsteig angezeigt und dann stürmen alle dahin, durch so seltsame Schleusen, die verhindern sollen, dass Leute ohne Ticket auf den Bahnsteig kommen. Oft genug steht da aber auch sowas wie “Train breakdown blocking northern line, all northbound traffic closed, please watch for further announcements”. Sowas kann einem dann wohl ganz schön den Abend versauen. Unter Sicherheitsgesichtspunkten ist das ganze Verfahren, mit den hunderten Menschen, die da dauernd dicht bei dicht stehen natürlich eine Vollkatastrophe, trotz flächendeckender Kameraüberwachung…

Gegessen haben ich beim Warten aus einer Laune heraus ein recht absonderliches Baguette:
Chicken-Tikka mit Joghurt-Pfefferminz-Sosse. Nicht mal schlecht, nur das Baguette hätte frischer sein können.

Gerade gammele ich auf dem Flughafen Stanstead am T-Hotspot rum, Flug hat Verspätung (wie immer eigentlich beim letzten Flug des Tages, da summieren sich dann die ganzen kleinen Verzögerungen über den Tag auf…)

London im Frühherbst

London im Frühherbst

Leicht angekränkelt und reichlich übermüdet sitze ich grad im Stanstead Express, einer glorifizierten S-Bahn, die mich nach Central London bringen soll. Die Abflugzeit von Air Berlin (6.15h) ist ja schon schlimm. Aber das sie auch noch verlangen, dass man eine Stunde früher da sein soll, nur um diese Stunde dann genüsslich zu vertrödeln, finde ich schon grob. Easyjet ist demgegenüber deutlich entspannter. Dort erinnert Fliegen mehr an Busfahren als an eine pompös zelebrierte Fortbewegungsart – hingehen, einsteigen losfliegen. Kein sinnloses “mindestens eine Stunde vorher dasein”. Ich finde das angenehmer, wenn schon Billigflieger, dann macht es wenig Sinn die überkommenen Rituale weiterzupflegen, um den lächerlichen Anschein einer “richtigen” Fluggesellchaft aufrechtzuerhalten.

Der Wartungszustand der Schienen hier unter und neben mir ist beunruhigend. Es erinnert nichts an das glorreiche Mutterland der Eisenbahnen. Ich fühle mich eher an einige besonders abenteuerliche Strecken in abgelegenen Gebieten Osteuropas, etwa um das Jahr 1992, erinnert. Die Architektur des Bahnhofs am Flughafen lässt sich wohl am besten als neothatcheristischer Brutalobetonismus beizeichnen, ich habe schon Industriehallen mit mehr Charme gesehen. Dazu Lautsprecheransagen wie in schlechten Scifi-Filmen, eine auf säuselnd hochfrisierte Frauenstimme. Der Inhalt der Ansage verliert sich in Verzerrungen und Echos.

Das Wetter ist very english, Nieselregen und Nebel. Dabei hat die BBC-Prognose für heute eigentlich trocken und nur leich bewölkt orakelt… Mal schaun, vieleicht wird es ja in der Stadt besser, draussen zieht grade saftiggrünes Heideland vorbei.

Liverpool Street Station ist sehr schön, leider haben die Urenkel das Werk ihrer Ingenieurs-Vorfahren mit modernen Plastik-Einbauten und Unmengen Kameras verschandelt.

Die Konferenz wegen der ich hier bin hat freies WLAN und einen spektakulären Blick über die Themse.

Auf dem Balkon fanden sich noch hübsche Ösen zum abseilen:

Stinkende Stadt

Die (ausschliesslich bei Nichtberlinern) berühmte Berliner Luft stinkt derzeit mehr oder minder unsubtil nach brennender Mülltonne. Genauer gesagt etwa 30.000 brennenden Mülltonnen, das ist die Menge des Gewerbeabfalls der auf einem “Recyclinghof” in Bernau nordöstlich von Berlin in Brand geraten ist.
Die relevante Adresse scheint 16321 Bernau, Schönfelder Weg 71 zu sein. Ein Blick auf das Luftbild (Adresse in das entsprechende Feld pasten, dann links auf “1:7.500 Luftbild” klicken) zeigt ein weiträumiges Deponiegelände mit Abfallsortieranlage. Direkt nebenan ist ein Heizkraftwerk das stillgelegt werden musste weil der Qualm direkt angesaugt wurde und die Anlagen damit nicht klarkommen. Durch den die letzten Tage vorhandenen Nord-Ost Wind ist der Qualm in die Stadt getrieben, kratzt im Rachen und widert in der Nase. Bei der Durchfahrt durch Bernau gerade war noch klar zu sehen das es noch finster raucht. Wir haben die Autofenster zugelassen, insofern kann ich nichts zur olfaktorischen Situation vor Ort sagen.

Immerhin hat die Berliner Feuerwehr bei der Amtshilfe Spass beim Kolleginnen-Dekontaminieren .

(Vielen Dank an FrankRo für das Standbild)

Laut Website des Brandenburger Umweltministeriums gibt es mehrere Müll-Firmen auf dem Gelände, eine davon ist dann wohl verantwortlich für das Desaster.

Diversen Presseberichten ist zu entnehmen das das brennende Stück der GEAB gehört.
Auf dem Gelände finden sich folgende GEAB-Untergliederungen:

GEAB Bernau, Gesellschaft für Abfallverwertung- u. Bodensanierung mbH, stationäre Brecher- und Klassieranlage

GEAB Bernau, Gesellschaft für Abfallverwertung- u. Bodensanierung mbH, stationäre Sortieranlage

Die GEAB ist den örtlichen Anwohnern schon neulich äusserst unangenehm aufgefallen, als vermutliche Verursacherin einer Schaben-Invasion in den Anliegerhäusern und durch diverse unangenehme Gerüche . Die Stadtverwaltung Bernau scheint aber lieber steuerzahlende Unternehmen als glückliche Bürger haben zu wollen…

(Quelle: Polizei-Pressefoto)

What else will happen…

There will be a very public hunt for the culprits of some crass cases of violence on the flooded streets. Perhaps there is some video from a TV helicopter, or some clips from a video mobile phone as sources of images. Nice distraction.

A lengthy congressional investigation into who did what wrong will reach the conclusion that a major overhaul of bureaucracy is necessary. Reshuffling of fiefdoms and responsibilities will ensue. Nothing substantial will result.

A federal emergency-overrule of local authorities will be installed, essentially creating the option for the central government to take direct and immediate military control over large areas.

Companies who produce rapid-deployment harsh-environment communication gear will have nice business coming. As is already visible, these systems will rely on VoIP and other IP tunneling of communications, instead of the old-style analog stuff. It remains to be seen wether these technologies are really reliable and sustainable under the conditions of major disasters.

What will happen…

Martial Law will be declared and kept alive for quite some time, creating the emergency dictatorship rule that we have so far only read in sci-fis novels about. Refugees will be interned in isolation camps (remember the danger of epidemics, crimes, looting…). Haliburton will get the job of running the camps and rebuildung some infrastructure, pocketing about half of the relief funds. The insurance companies will declare large parts of the area a total writeoff. Oil production will slowly come up again. Environmental laws will be scraped so new refineries can be built without all these annoying environment concerns. Oil drilling in nature preservation zones in Alaska will start real soon now (you know, there clearly must be more diversified oil sources…). Global Warming has of course nothing to do with hurricanes, and is Junk Science anyway.

(Forgive me for being even more cynical then usual, but watching CNN with Bush on a completely staged visit to the disaster zone was a bit too much…)

Strongly recommended reading: Bruce Sterling Heavy Weather . He wrote it under the impression of watching the aftermath of hurricane Andrew in 1992.

UPDATE: Every time I think I am just cynical and pessimistic, reality moves as expected. Haliburton has already scored the first large cleanup / rebuilt contract…

UPDATE2: Haliburton & Co. get the fat rebuilding contracts. Even CNN is slightly pissed .