Wo warst Du eigentlich, als die Mauer aufging?

Eine gerade sehr beliebte Frage, morgen heute ist ja mal wieder Jahrzehntstag. Nun, ich war in einer sehr angeregten, gutbesuchten Diskussion über Bildung, Schulen und Schülerrechte in der Berliner Kongreßhalle, neben dem Haus des Lehrers, heute bekannt als bcc. Da wo wir in den letzten Jahren (und auch dieses Jahr) den Chaos Communication Congress abhalten.

Die Diskussion zog sich bis spät in die Nacht. Wir waren alle sehr revolutionärer Stimmung, beseelt von der Idee, daß es jetzt im positiven Sinne anders werden könnte, und zwar so wie wir es uns vorstellen. Und irgendwie hatte niemand mitbekommen, daß draußen grad die Welt eine andere wurde. Wir erinnern uns kurz: es gab keine Mobiltelefone, keine Pager, keine permanent laufenden Fernseher in jeder Kneipe. Die Zeitung am Morgen enthielt tatsächlich noch (gefühlt) richtig frische Nachrichten, nicht nur den ollen dpa-Ausdruck von gestern. So begab es sich also, daß im Saal niemand so richtig mitbekam was los war. Ich bin irgendwann gegangen, mit zwei Freunden und einer Flasche billigen Rotweins die Karl-Marx- und Frankfurter Allee hinunterlaufend, in den heimatlichen Friedrichshain. Unterwegs begegneten uns gelegentlich Grüppchen, die in die andere Richtung liefen. Aber wir waren wohl schon etwas angeheitert und zu sehr ins Gespräch vertieft, als das wir deren Gegröhle ernstnahmen.

Erst zu Hause am Fernseher, wo die x-te Wiederholung von Schabowskis Zettelspruch lief und die Bilder von den Grenzübergängen einliefen wurde mir dann klar, wohin die gröhlenden Grüppchen unterwegs waren. Zum nochmal loslaufen war ich dann aber deutlich zu müde. Zumal auch echt nicht klar war, daß es nicht doch nochmal andersrum geht und die Armee nicht den Befehl bekommt, die Grenzen wieder abzuriegeln. Heute sieht das ja alles so schön freudig und bunt aus im Rückblick, aber damals waren Konfusion und Unsicherheit schon erheblich. Ich bin dann tatsächlich ins Bett gefallen, das erschien mir die sinnvollste Alternative.

Am nächsten frühen Morgen gab es auf dem Weg zur Schule ein kleine Szene, die die Stimmung gut wiederspiegelt. Der Busfahrer hielt, einfach so, am Zeitungskiosk, öffnete alle Türen und machte folgende Durchsage: “Wir halten hier mal kurz, damit alle sich eine Zeitung kaufen können und nicht glauben, bloß geträumt zu haben.” Was dann auch praktisch alle Businsassen taten.

Zum ersten Mal in den Westen gegangen bin ich dann erst ein paar Tage später. Ich war doch einigermaßen angewidert von Menschenmassen, Südfruchtgier und würdelosem Lass-den-Ossi-hüpfen Schauspiel hinter den Grenzübergängen. Da wollte ich nicht hin. Rübergelaufen bin ich in Treptow, an der Puschkinallee , da war es halbwegs leer und eher abgelegen. Der Grenzübergang war frisch aufgerissen noch nicht so bekannt. Meiner erste Erkenntnis über den Westen, auf den ersten Kilometern war dann: ohne genug Westgeld macht er keinen Spaß.