Meine Wahl

Die Frage, was man denn nun wählen soll, ist alle vier Jahre aufs neue quälend. Das kleinere Übel wählen kommt für mich nicht mehr in Frage, Stimmabgabetaktik hin oder her. Keine der Parteien hat, sobald sie an der Regierung mitwirkte, auch nur eine entfernte Erinnerung an ihre Wahlkampfversprechen. Daher gilt eindeutig: Performance in der Vergangenheit ist , im Gegensatz zu Aktien, bei Parteien ein Indikator für zukünftiges Verhalten.

Also einmal kurz durch die Parteienlandschaft durch:
CDU und Verräterpartei SPD haben sich in einer Weise durch Inkompetenz, politische Feindseligkeit gegenüber Bürger- und Freiheitsrechten und neoliberalen Talibanismus diskreditiert, daß sie nicht mal einer Erwägung wert sind.

Die FDP hatte länger nicht mehr die Chance dazu, allerdings gibt es in den Landesregierungen genügend Hinweise darauf, daß das kleine Häuflein aufrechter Altliberaler, die sich noch an das Grundgesetz und das Adjektiv “sozial” vor der Marktwirtschaft erinnern können, nicht entscheidend für das Verhalten der Partei sein werden. Also keine Wahloption.

Bleiben Linke, Grüne und Piraten. Die Linke, tja. Ein schwieriges Thema. Die Kombination aus Altkaderdominanz und schmerzfreiem Mittragen von politisch völlig inakzeptablen Dingen in der Berliner Landespolitik wie Schülerdatei, ASOG und das ideologisch motivierte Betreiben einer gleichmacherischen Schulpolitik machen es mir am Ende aber unmöglich hier mein Kreuz zu machen. Die merkwürdige Stille der Linken in der Finanzkrise, obwohl Oskar Lafontaine sich langsam ein “told you so”-Tatoo machen lassen könnte, lassen mich obendrein zweifeln, ob hier wirklich politische Stringenz vorhanden ist, die für das Land nötig wird.

Die Grünen, nunja. Sobald man Grüne daran erinnert, welche Schweinereien sie um der lieben Macht willen unter Rot-Grün mitgetragen haben kommen peinliche Ausflüchte, “nächstes mal wird alles besser”-Versprechen oder auch nur Gesabbel. Eine zunehmende konservative, fortschrittsfeindliche Grundströmung unter den älteren Grünen Kadern und ein gelegentlich von keiner Sachkenntnis getrübtes Schwadronieren über Themen wie Netzzensur und Urheberrecht tut ein übriges hier kein warmes Bauchgefühl aufkommen zu lassen.

Die Piraten. Ein noch schwierigeres Thema. Einer Partei, die effektiv erst seit 6 Monaten aktiv ist und die zu den meisten Themen schlicht noch keine durchdachte Position hat, meine Stimme zu geben ist hart. Dazu kommt, daß das großkotzige de-facto Übernehmen der Freiheit-statt-Angst-Demo mit Technoprotztruck und inflationären Piratenfahnen statt intelligenter Plakate eine ziemlich doofe Aktion war, überschwänglicher Aktivismus hin oder her.

Allerdings haben die Piraten ein paar entscheidende Vorteile, im Rahmen der durch das Konzept “Partei” bestehenden beschränkten Möglichkeiten. Sie sind jung, wütend engagiert, und wollen etwas verändern, wenn nötig mit radikalen Ideen. Sie haben den Willen, sich qualifizierte, unideologische Sachpositionen zu erarbeiten und dabei auf netzbasierte innerparteiliche Demokratie bis zum Abwinken zu setzen. Das Konzept der Liquid Democracy ist der erste vernünftige Ansatz, den ich bisher gehört habe, um Sachpolitik zu demokratisieren und Mitwirkung von Vielen effektiv zu organisieren.

Dieses ganze Geplänkel über rechte Spackos und unerfahrene Interviews mit Rechtspostillen finde ich völlig nebensächlich, das sind halt die Fettnäpfe, in die eine neue Partei am Anfang reintapst. Ist den Grünen auch passiert. So what?

Entscheidend ist, daß hier eine politische Kraft entsteht, die alleine durch ihre Existenz die anderen Parteien nervös mach, in Zugzwang bringt und das Bauchgrimmen der Digitalen Ureinwohner artikuliert und in die Breite trägt. Der Ansatz, Positionen dynamisch weiterzuentwickeln und neue Ideen zu integrieren, macht am Ende den Unterschied aus. Selbst wenn derzeit noch kaum meßbare inhaltliche Substanz vorhanden ist, eine kräftige, dynamische Bewegung, unverbraucht und nicht zerfressen von Kompromissen und Machtoptionserhaltungserwägungen ist, was das Land gerade braucht.

Daher gebe ich meine Listenstimme dieses Jahr den Piraten. Sie haben ihre Chance verdient.

PS: Ob nun die nächste Runde Land-in-den-Abgrund-reiten von SPDCDU oder CDUFDP bestritten wird ist mir einigermaßen schnurz. Unterscheidbare Positionen gibt es da eh nicht mehr und die Kombination von Inkompetenz, Sachferne und geistig-ökonomischer Gestrigkeit ist bei beiden Varianten evident. Politik wird in den nächsten Jahren ohnehin auf der Strasse gemacht werden müssen.