Die Angstunion

Eigentlich wollte ich zu den aktuellen Geschehnissen und der Reaktion von Medien und Politik darauf ja schweigen. Es ist alles so vorhersagbar und so weit weg von den wirklichen Problemen, die gerade gelöst werden müssen, daß mich nur noch ein Gefühl geistigen Unwohlseins ergreift, wenn ich das Gefasel lesen muss. Das intellektuelle Equivalent zum Post-McDonalds-Bauchgefühl; Kotzen wäre eine erwägenswerte Option. Was ich aber heute lesen musste war dann doch zu viel.

In den letzten Monaten hätte man fast das Gefühl haben können, daß die Berufspolitikerkaste so langsam im Internet-Zeitalter ankommt. Selbst Wiefelspütz ist jetzt stolz selbst einen Browser bedienen zu können. Leider war diese Beobachtung ein Irrtum. Kaum ergibt sich auch nur der Hauch einer Gelegenheit wird “das Internet” zur Inkarnation aller Ãœbel der Gesellschaft. Selbstverständlich muss erstmal recherchiert werden, ob ein Amokläufer sich im Internet verewigt hat, und da wird dann allerorten auch gerne auf einen primitiven Fake hereingefallen, weil es passt ja einfach zu gut. Schade nur das da nicht mehr “böses Internet” war als ein paar Ballerspiele und ein bißchen Porn. Das muss dann natürlich hochgehyped werden, weil sonst passt ja das Schnittmuster nicht mehr. Und wenn das böse fiese Internet sich dann auch noch lustig macht über die fortschrittsmäßig zurückgebliebenen Regierungsgestalten, dann wird es halt zensiert und unter Kontrolle gebracht und familienfreundlich disneyfiziert. Porn gibts in Deutschland nur noch nachts und gegen Vorlage des Personalausweises. Weil das war ja früher auch so und früher war alles besser. Wer schiessen will soll gefälligst in einen ordentlichen doitschen Schützenverein gehen und richtig killen lernen, weil Ballerspiele sind einfach zu gefährlich und müssen verboten werden.

Und die Online-Medien, allen vorran das ehemalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg machen fröhlich mit:

“Nach dem Amoklauf von Winnenden verstärkt sich die Diskussion über ein Verbot von Gewaltvideos und kinderpornografischen Angeboten im Internet.”

Lieber Spiegel, nur nochmal zum mitmeisseln weil ihr offenbar zu betriebsblind seid, um noch was mitzubekommen: was wir hier sehen ist im Kern ein klassischer Generationenkonflikt. Die uns derzeit Regierenden betrachten das 21. Jahrhundert als den Hort des Bösen. Statt Probleme zu lösen werden sie besser per Netzzensur und Verdrängung ausgeblendet. Statt massiv Geld und Energie in Bildung und Jugendförderung zu investieren, wird es zum Verbrennen in Zockerbanken geschaufelt. Und statt mal das Kind beim Namen zu nennen folgt die ach so unabhängige und neutrale Medienzunft erstmal blind hechelnd der sensationskompatiblen BKA-Kanzleramtslinie, statt selbst zu recherchieren und zu analysieren. Mit diesem Ansatz sind die Medien Teil des Problems, nicht der Lösung. Wie wäre es mal mit progressiver Meinungsbildung statt pseudo-neutralem Sau-durchs-Dorf-treiben, lieber Spiegel?

“Merkel sagte, man dürfe nicht nur mit der Freiheit des Internets argumentieren. “Ich gehöre, ehrlich gesagt, zu denen, die immer wieder überlegen: Kann man nicht doch etwas tun?”

Der Ansatz ist klar: das Internet muss gezähmt werden. Der Staat will gern die Technologien benutzen um den Bürger von der Wiege bis zur Bahre unter seine Fittiche zu nehmen, mit staatlich bereitgestellter e-mail, e-Government, Gesundheitskarte, Vorratsdatenspeicherung und Inhaltsfiltern gegen verbotene Bits. Unkontrollierte digitale Freiräume werden abgeschafft. Und wer aufmuckt, bei dem findet sich dann schon was um ihn mundtot zu machen.

Als ich “We lost the War Welcome to the World of Tomorrow” geschrieben habe, waren einige Elemente der zukünftigen Krisen noch nicht so klar wie sie heute sind und klangen vielleicht ein bißchen weiter hergeholt als sie heute erscheinen. Das ist der Lauf der Dinge, heute sind viele Probleme offensichtlicher. Die Einsicht, die sich massiv verstärkt hat ist, daß meine Annahmen über die Motivation und die Mechanismen des Umbaus der Gesellschaft korrekt waren.

In einem seltenen Moment von Offenheit hat einer der Chefarchitekten des angstgetriebenen Sicherheitsstaates, der beamtete Staatssekretär im BMI August Hanning, seine Weltsicht in einem Interview dargelegt. (Daß das Interview ausgerechnet von “wird schon nicht so schlimm mit dem Ãœberwachungsstaat, nun habt auch mal nicht so”-Christian Rath geführt wurde ist schon ganz schön bizarr…)

Es darf keine Bereiche geben, in denen der Staat nicht auf potenziell Tatverdächtige zugreifen kann.

Diesen Satz hätte auch der chinesische Innenminister sagen können. Oder Erich Mielke. Kombiniert mit der Grundgesetz-Allergie seines Ministers ergibt sich das Bild einer Sicherheitsdiktatur, die sich zum Ziel gesetzt hat ausschliesslich durch ihre eigene Sorgfalt und Zurückhaltung gebremst zu sein.

Um es nochmal ganz klar zu sagen: Ich habe keinerlei Grund darauf zu vertrauen, daß der Staat mit seinem Instrumentarium zurückhaltend und sorgfältig umgeht.

Die Vorkommnisse der jüngsten Zeit sind eine sehr deutliche Warnung, daß der Staat im Gegenteil keine Hemmungen hat, abweichende Meinungen mit grundlosen Ermittlungsverfahren und Hausdurchsuchungen (und sei es nur wegen Filesharing) mundtot zu machen und hartnäckige Störer zu schikanieren, bis sie aufgeben. Wie weit es mit der “Zurückhaltung” her ist lässt sich prima bei Käfighaltung von G8-Protestierern und den diversen Pseudo-Terrorismusverfahren konkret beobachten.

Die Vorbereitung auf die kommenden Krisen durch Errichtung eines allmächtigen Sicherheitsapparates mag ein natürlicher Impuls sein. Vielleicht würde ich an Hannings Stelle ähnlich agieren, angesichts von Wirtschaftskrise, Migrationsdruck und absehbarem Klimaelend. Die Abschaffung und Unterdrückung effektiver gesellschaftlicher Kontrolle des Apparates und die Stigmatisierung von abweichenden Meinungen als “Kinderporno-Schützer” und ähnliches sind jedoch durch nichts zu rechtfertigen.

Insofern empfinde ich Merkels Gefasel als existenzielle Bedrohung. Wenn es nur noch darum geht Vorwände und Anlässe für die Einschränkung von Informations- und Meinungsfreiheit zu suchen sind wir keine Demokratie mehr. Kinderporno-Server nicht abzuschalten, sondern sie weiterlaufen zu lassen, um damit Zensurinfrastruktur durchzusetzen ist eine aktive Handlung zur Abschaffung der demokratischen Grundprinzipien. Ein Innenminister, der das Grundgesetz und das Verfassungsgericht für lästige Störfaktoren hält, betreibt die Abschaffung der verfassungsmäßigen Ordnung. Tut mir leid, anders kann ich es langsam nicht mehr formulieren.