Die meisten Leser werden es schon mitbekommen haben, das Bundesverfassungsgericht hat heute über die Zulässigkeit von Wahlcomputern geurteilt. Wie es immer so ist mit BverfG-Urteilen, sie sind umfangreich und komplex, d.h. man kann nicht erwarten alle Facetten beim ersten Lesen am ersten Tag zu verstehen. Der klare, eindeutige Teil: NEDAP, PTB und BMI haben eine gewaltige Klatsche bekommen. Das gesamte Verfahren der geheimen Prüfungen, “geschützten Umgebungen”, Black-Box-Wahlcomputer usw. ist einmal ohne Umweg in den Orkus gewandert. Mindestens die Wahlen dieses Jahr werden mit Zettel und Stift stattfinden. Dafür hat sich der ganze Aufwand schonmal gelohnt, auch wenn das Frühaufstehn zum Wahlbeobachten manchmal etwas hart war.
Der komplexere Teil des Urteils betrifft die Zukunft. Das BVerfG hat definiert, daß der Grundsatz der Öffentlichkeit bedeutet, daß jeder Wähler ohne Fachkenntnisse die Korrektheit der Stimmabgabe und Auszählung prüfen können muss. Auch wenn jetzt in der Presse ein bißchen über Paper Trail oder Wahlstift spekuliert wird, ich glaube kaum, daß solche Systeme in der Praxis durchsetzbar sind.
Die Gründe dafür sind vielfältig und umfangreich (siehe z.B. ausgewalzt bei Pavel ab Seite 25 ). Das Kernproblem ist jedoch, daß jeder Wähler eine Nachzählung des Papiers verlangen können muss und damit die Anschaffung der Wahlcomputer nicht mehr ökonomisch zu argumentieren ist. Wenn nicht jeder Wähler vorraussetzungslos ein Nachzählen verlangen kann, ist er in seinen verfassungsmäßigen Rechten beschnitten. Auf der technischen Ebene ist es nebenbei bemerkt wirklich kostspielig und knifflig, einen abstrahlungsgeschützten Drucker zu bauen, der das Wahlgeheimnis wahren kann. In den Niederlanden wurden daher entsprechende Versuche, die Elektroschrott-NEDAPs nachzurüsten aufgegeben.
Der Wahlstift sah auf den ersten Blick wie eine technisch gangbare Lösung für das Problem aus. Nur stellte sich im Zuge des Versuchs der Einführung in Hamburg heraus, daß die Bürgerschaft die Anschaffung des Systems nicht einmal erwägen würde, wenn die Ressourcen für eine komplette Handauszählung bereitgehalten werden müssten – was nach dem BVerfG-Urteil nun der Fall ist. Der Grund, warum wir so viel Arbeit in die Analyse des Wahlstift-Systems gesteckt haben, war ja genau die Beschränkung der Handauszählung auf ein paar Stichproben, wodurch der Wahlstift de facto zum Blackbox-Wahlcomputer wurde, was wiederum erst die erhofften ökonomischen Vorteile in Aussicht gestellt hätte. Das Problem, daß Wähler ihren eigenen Kugelschreiber mitbringen könnten um damit zu wählen (was das elektronische Ergebnis komplett unbrauchbar macht), kommt verschärfend hinzu.
Natürlich sehen die Fortschrittsfreunde in der Politik (die sonst bizarrerweise eher der Fraktion der Internetausdrucker angehören…) alles ganz anders und werden weiter versuchen, dem “Zeitgeist” zum Durchbruch zu verhelfen. Es bleibt also spannend und arbeitsreich. Meine leise Hoffnung, daß das Thema nach dem Urteil abgegessen ist und ich mich anderen Baustellen zuwenden kann war wohl leider illusorisch…