Der “Google Earth als Zielfernrohr”-Unsinn

Die Zeitschrift Technology Review , eine vom heise-Verlag betriebene Ãœbertragung der US-amerikanischen MIT Technology Review , setzt ihren Weg in die journalistische Bedeutungslosgkeit fort. Unter der reisserischen Ãœberschrift WM-Sicherheit: Google Earth als Zielfernrohr gibt Niels Boeing einem Klaus -Dieter Matschke, Inhaber einer wohl nach seinen eignen Initialien benannten Sicherheitsfirma namens KDM , Gelegenheit einen Movie Plot Threat vom feinsten auszuschwadronieren.

Über Google Earth liessen sich, so Matschke, die Koordinaten von Stadien ermitteln, in die fiese Terrorisiten während der WM Raketen schiessen könnten. „Solange Google Earth in dieser Form online ist, gibt es ein Sicherheitsrisiko.“, so Matschke.

Der geneigete Leser windet sich vor Entsetzen. Das ist nämlich eine echt krasse Gefahr wegen der man Google Earth sofort abschalten muss!

Was nun ausgerechnet Herrn Matschke (der sein Geld, ausweislich seiner Webseite primär damit verdient, schattige Ex-Geheimdienstler zu beschäftigen, die dann Produktpiraten und Wirtschaftsspionen jagen) prädestiniert, der einschlägige Experte für dieses Themenfeld zu sein, bleibt leider im Dunkeln.

Der Autor qualifiziert ihn mit den Worten: “Matschke kennt das Sicherheitsgeschäft seit Langem: Er war 1972 bei den Olympischen Spielen in München selbst mit Sicherheitsaufgaben betraut und beschäftigt unter anderem ehemalige Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes, des Verfassungschutzes und des Bundesnachrichtendienstes. “

Klingt alles schwer beeindruckend, hat nur leider rein garnichts mit Kompetenz beim Thema Geokoordinaten und Raketen zu tun.

Die Annahme, daß eine Gruppe fieser Böser ™ sich wirklich eine Rakete (oder von mir aus auch einen Marschflugkörper) bauen oder beschaffen könnte, der 300km weit fliegt und dann Stadion von ca. 300x500m Durchmesser trifft ist schon reichlich weit hergeholt (zumindest für die nächsten paar Jahre), wenn auch nicht gänzlich undenkbar. Nehmen wir dieses Szenario vorrübergehend als gegeben an, damit wir uns in Ruhe der Kernfrage des Artikels widmen können: der Beschaffung der Zielkoordinaten via Google Earth.

Angeblich sei die neue Gefahr, daß man in Google Earth die Koordinaten von Gebäuden auf die Bogensekunde genau erfahren kann. Oh Schreck! Damit liesse sich ja die Rakete zielgenau steuern! Tja.

Nehmen wir das Berliner Olympiastadion als Beispiel.
Die Wikipedia hat die Koordinaten wirklich genau. Der Berliner Stadtplan auch. Selbst die sonst etwas schnarchigen Berliner Behörden haben hochpräzises und geokodiertes Kartenmaterial zu bieten. Besonders lustig sind die Geocacher, die haben einen Wettbewerb bei der sie Geocaches in alle WM2006-Stadien verstecken. Ob das alles Fiese Böslinge ™ sind die das alles nur als Tarnung machen? Wohl kaum.

Ein weiteres Detailproblem an der Behauptung ist, daß die Genauigkeit der Koordination von Satellitenbildern in Google Earth nicht immer so genau ist wie allgemein angenommen. Durch so lästige Details wie die Entzerrung und Projektion der Bilder und die Umrechnung in und aus verschiedenen Koordinatensystemen sind in der Realität diverse Abweichungen in alle Richtungen zu verzeichnen. Ein auch nur halbwegs klar denkender Terrorist würde also eher die amtlichen Katsterkarten zu Rate ziehen oder einfach jemand mit einem GPS ans Ziel schicken, um die Koordinaten aufzuzeichnen. Dazu muss der Übeltäter nicht mal direkt dem Ziel aufs Dach steigen, es reicht in der Nähe zu sein und mit einem Laser-Entfernungsmesser das Ziel anzuvisieren. Aus Kompassrichtung, Entfernung und der eignen Position (GPS-Empfänger) wird dann die eigentliche Zielkoordinate berechnet. So machen das die Militärs auch, wenn sie Ziele für Bombardierungen bestimmen und dabei ein bischen Sicherheitsabstand halten wollen. Manchmal geht das auch schief, z.B. wenn die Batterie des GPS-Gerätes ausfällt und danach der Offset zum Ziel weg ist. Dann wird die Koordinate des GPS-Gerätes und nicht die des Ziels übermittelt (nach GPS im Artikel suchen).

Herr Matschke hat also ganz offensichtlich die letzten 10 Jahre Technologieentwicklung verpasst oder ignoriert und Herr Boeing war so beeindruckt von den ganzen tollen Geheimdienst-Hechten, die Herr Matschke beschäftigt, daß er das Nachrecherchieren vergessen hat. Nunja. Kann ja mal passieren.

Wozu man allerdings metergenaue Koordinaten für einen Terroranschlag mit Boden-Boden-Rakete benötigt wird nicht so ganz klar. Die im Artikel erwähnte “SS-185” gibt es schlicht nicht (selbst das Typenbezeichnungen aus Quellen kopieren ist offenbar schwer…). Auch zu dem in der Referenz zitierten Typ S-185 finden sich keine Daten.

Nehmen wir also – mangels eines genauen Typenbezeichnung – anhand der angeführten Kerndaten an, es handele sich um eine Kurzstreckenrakete russischer Konstruktion, mit mindestens 300km Reichweite. Gewöhnlich haben Raketen mit 300km Reichweite einen Sprengkopf von ca. 1000kg. Da kommt es auf 20 Meter rechts oder links nicht wirklich an, wenn man von einem vollbesetzten Stadion als Ziel und einem Splittersprengkopf ausgeht. Die Genauigkeit der üblichen russischen Boden-Boden Raketen ist auch eher im Bereich von 50-100m (bis 1,5km bei den älteren Modellen), da nutzen metergenaue Koordinaten nicht so schrecklich viel.

Wo genaue Koordinaten hingegen schon etwas nutzen, sind langsam fliegende GPS-gesteuerte Flugobjekte. Schon seit diversen Jahren gibt es mit fortgeschrittener Modellbautechnik gebaute Geräte die auch schon mal alleine über den Atlantik fliegen können. Auch Iran hat derartige Technologie schon am Start und offenbar auch mal an die Hizbollah für einen kleinen Rundflug über Israel verborgt. Ob ein AWACS genügend Radarauflösung hat, um so ein Ding zu erfassen, entzieht sich meiner Kenntnis. Die letzten Update-Programme für die AWACS zielten genau darauf, die Erfassung von Zielen mit kleiner Radar Cross Section zu verbessern.

Wir halten also zusammenfassend fest:
– Herr Matschke geht besser wieder Produktpiraten jagen
– Herr Boeing muss besser recherchieren
– Technology Review muss mal wieder klarkommen
– Genaue Geokoordinaten gibt es an jeder Ecke
– Google Earth ist toll und sollte endlich ein schnelleres Update der Sat-Bilder hinbekommen
– Modellflugzeuge mit GPS sind ein tolles Hobby, daß leider Gefahr läuft in Verruf zu geraten

4 thoughts on “Der “Google Earth als Zielfernrohr”-Unsinn

  1. a.s.h.

    Na, Frank, den Matschke müßtest Du doch eigendlich noch kennen:

    Wolfgang Gast schrieb am 15.08.1996 über ihn in der TAZ
    ZITAT:
    ——
    Ja damals, in den wilden
    Wendezeiten, 1990, Magdeburg, Sachsen- Anhalt. Das wundervolle Trio:
    Innenminister Wolfgang Braun (CDU, später als IM enttarnt), Ministerpräsident
    Gerd Gies (CDU und Opfer seiner eigenen Affären) und KDM (CDU, Agentenjäger
    und gegen jedes Recht von Braun zum “Offizier der Polizei” befördert). Es
    waren Landtagswahlen, die Christdemokraten erzielten einen überwältigenden
    Erfolg. Doch der designierte Ministerpräsident Gies (Listenplatz 1) und Braun
    (Listenplatz 3) hatten ein Problem. Weil die CDU alle Direktmandate gewonnen
    hatte, konnten beide nach dem Landeswahlgesetz nicht in den Landtag
    einziehen. Eine nicht vorhersehbare Panne. KDM springt ein. Bei seiner
    Agentenjagd hatte er zwei CDUler aufgestöbert, die jahrelang für die Stasi
    gearbeitet hatten. Die beiden werden unter Druck gesetzt, sie gehen. Gies und
    Braun sind im Parlament – wenn auch nicht für lange Zeit. Nur wenige Wochen
    später erscheint die Bild-Schlagzeile “Falscher Kriminalrat
    spionierte beim Ministerpräsidenten”.

    Danach setzte sich KDM dann doch lieber nach Frankfurt am Main ab. Auf seiner
    Hompeage lesen wir: “Als Ergebnis jahrelanger Erfahrungen, der Entwicklung
    besonderer Vorgehensweisen und des Experten-Know-how sind wir in der Lage,
    die Probleme unserer Kunden schnell und ökonomisch zu lösen.” Wie wahr!
    ——

    2001 wurde diese “schillernde Figur” in Frankfurt/M. verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, gemeinsam mit drei Mitarbeitern einen Polizeibeamten bestochen zu haben, um an interne Informationen zu gelangen. Gegen eine Kaution von 20.000 Mark und das Geständnis der Tat haben sie ihn dann aber wieder laufen lassen.

    a.s.h. [OST:BLOG]

  2. Jan

    Noch eine kleine Anmerkung zu Herrn Matschke:
    Ob die Tatsache, bei den Olympischen Spielen 1972 in München mit Sicherheitsaufgaben betraut gewesen zu sein, wirklich für irgendetwas qualifiziert, kann man durch einen Blick in die Geschichtsbücher (http://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1972) leicht selbst beurteilen… ich würde mir sowas ja nicht auf die Visitenkarte schreiben…

Comments are closed.