In der Schule meines Sohnes wurde gerade in der Elternversammlung debattiert, ob die Klasse an einem “TV-Projekt” teilnehmen möchte. Sozial sollte es sein, engagiert und interessante Fragen aufwerfend. Nun, das wird schon seine Richtigkeit haben dachte ich als das Thema zuerst vor ein paar Wochen aufkam, bis dann der Vertrag der Produktionsfirma auf dem Tisch lag und Details klar wurden. south & browse (Vorsicht, grottiges Flash), eine in den sumpfigen Niederungen der seichten deutschen Vorabendfernsehunterhaltung verwurzelte Produktionsfirma, hat sich da etwas ziemlich widerliches ausgedacht.
Das Konzept, mit dem plakativen Namen “Geld zu Verschenken”, geht etwa so: man castet sich über solche Anzeigen ein paar notleidende Menschen zusammen. Die dürfen sich dann, getrieben von der Aussicht auf den Gewinn von 5000 Euro, einmal komplett exhibitionieren und erklären, warum gerade sie besonders bedürftig sind. Dann nimmt man sich eine Gruppe behüteter Gymnasialschüler und lässt sie entscheiden, welches der drei auf möglichst telegenes Notleiden zurechtgecasteten Opfer die 5000 Euro bekommt. Die Bedürftigen brauchen das Geld für eine Therapie, einen lange ersehnten Urlaub oder ähnliches. Verkauft wird das dann den Eltern als eine Aktivität, bei der die Schüler lernen, Verantwortung zu zeigen, Entscheidungen zu treffen und mit der realen Not da draussen konfrontiert zu werden.
Nicht besonders überraschend war, daß einige Eltern das gut fanden. Wenn man einmal an die Brot-und-Spiele Logik des derzeitigen TV-Sumpfes gewöhnt ist, scheint der Gedanke an so eine kranke Konstruktion nicht weiter absonderlich zu sein. Die armen Menschen haben doch schliesslich eine gute Chance, so ihre Not zu lindern!
Um es mal klar und unmissverständlich zu formulieren: es handelt sich dabei um eine zynische Einschaltquotenjagd, die auf blankem Elendsvoyerismus und eiskalter Erweiterung der Zielgruppe durch Einbindung von Schülern als Akteure beruht. Keines der vorgebrachten Argumente, warum das denn nun gut für die Schüler sei, hielt einer Ãœberprüfung stand. Mein Liebling dabei war “die Jugendlichen lernen schwierige Entscheidungen zu treffen”. Was für ein Bullshit. Derartige Game-Konstruktionen werden von theoretischen Philosophen und Ethikern gerne gewählt, um praxisferne Erwägungen durchzuspielen. “Sie stehen vor einem brennenden Haus, haben aber nur Zeit um eine Person zu retten. Welche Person retten Sie?”. Solche Situationen kommen im Alltag von Feuerwehrleuten oder Notfallärzten vielleicht gelegentlich mal vor, für die Herausbildung einer praxistauglichen ethisch-moralischen Weltanschauung sind sie jedoch irrelevant.
Die offensichtliche Lösung “Na, dann teilen wir das Geld halt durch Drei!” wird natürlich von den Regeln der Produktionsfirma verboten. Es gibt nur Daumen hoch oder Daumen runter. Ich finde es echt verwerflich, daß solcher Dreck in diesem Land produziert und von Werbung finanziert wird. Und dann auch noch unter dem Deckmantel sozialer Verantwortung Jugendliche ausnutzen, die sich gerade erst im Leben orientieren.
Achja, das verbleibende Argument am Ende der Debatte war: “Dann können die Schüler mal Erfahrungen mit dem Fernsehen sammeln und ihre Erlebnisse hinterher auswerten.”. Da fiel mir dann auch nichts mehr zu ein.
Den “wir haben alle Rechte, der Jugendliche hat kein Mitspracherecht und bekommt keine Vergütung”-Vertrag von south&browse habe ich dann sachgerecht im Shredder entsorgt. Ich hoffe mal etliche andere Eltern tun das auch.
Nachtrag: Die Initiative zur Teilnahme an der Sendung ging von ein paar Schülern aus. Die Schule hat da keinerlei Druck ausgeübt, wollte aber auch nicht pauschal Nein sagen wg. Eigeninitiative etc. Ob ein Jugendlicher mitmacht, falls das Projekt durchgeführt wird, entscheidet er selbst, bzw. seine Eltern.
Upate: die Schüler haben sich nach längerer Debatte dann nicht mehrheitlich für das Projekt ausgesprochen, south&browse muss sich eine andere Klasse suchen.