… ist dazu verdammt, sie zu wiederholen, heisst es. Sebastian Haffner schrieb in seiner Geschichte eines Deutschen (leider derzeit nur gebraucht zu erwerben) folgende Sätze über die Regierung Brüning, der vom 30. März 1930 bis zum 30. Mai 1932 Reichskanzler war.
In regelmäßiger Folge, etwa jedes halbe Jahr, kam eine »Notverordnung« heraus, die die Gehälter, Pensionen, sozialen Wohlfahrtsleistungen, schließlich sogar die privaten Löhne und Zinsen heruntersetzte und wieder heruntersetzte. Eins erzwang das andere, und mit zusammengebissenen Zähnen zog Brüning jede schmerzhafte Konsequenz. Manches von dem, was später zu Hitlers effektvollsten Folterinstrumenten gehören sollte, wurde von Brüning eingeführt: die »Devisenbewirtschaftung«, die die Auslandsreisen, die »Reichsfluchtsteuer«, die die Auswanderung unmöglich machte; sogar die Beschränkung der Pressefreiheit und die Knebelung des Parlaments gehen, in den Anfängen, auf ihn zurück. Dabei tat er das alles, paradox genug, im tiefsten Grunde zur Verteidigung der Republik. Aber die Republikaner begannen sich begreiflicherweise allmählich zu fragen, was ihnen nach alledem eigentlich noch zu verteidigen blieb.
Meines Wissens ist das Brüningregime die erste Studie und, sozusagen, das Modell gewesen zu einer Regierungsart, die seither in vielen Ländern Europas Nachahmung gefunden hat: Der Semi– Diktatur im Namen der Demokratie und zur Abwehr der echten Diktatur. Wer sich der Mühe unterziehen würde, die Regierungszeit Brünings eingehend zu studieren, würde hier schon alle die Elemente vorgebildet finden, die diese Regierungsweise im Effekt fast unentrinnbar zur Vorschule dessen machen, was sie eigentlich bekämpfen soll: die Entmutigung der eigenen Anhänger; die Aushöhlung der eigenen Position; die Gewöhnung an Unfreiheit; die ideelle Wehrlosigkeit gegen die feindliche Propaganda; die Abgabe der Initiative an den Gegner; und schließlich das Versagen in dem Augenblick, wo alles sich zu einer nackten Machtfrage zuspitzt.
Brüning hatte keine wirkliche Gefolgschaft. Er wurde »toleriert«. Er war das kleinere Übel: der strenge Schullehrer, der die Züchtigung seiner Schüler mit dem Spruch begleitet: »Es tut mir mehr weh als euch« – gegen den hochsadistischen Foltermeister. Man deckte Brüning, weil er der einzige Schutz gegen Hitler zu sein schien. Da er dies natürlich wußte, durfte er Hitler, von dessen Bekämpfung – und somit: von dessen Existenz – er politisch lebte, auf keinen Fall vernichten. Er mußte Hitler zwar bekämpfen, aber zugleich erhalten. Hitler durfte nicht wirklich zur Macht kommen, mußte aber immer gefährlich bleiben. Ein schwieriger Balanceakt! Brüning hielt ihn, mit Pokerface und zusammengebissenen Zähnen, zwei Jahre lang durch, und schon das war eine große Leistung. Der Augenblick, in dem er aus dem Gleichgewicht kommen mußte, konnte unmöglich ausbleiben. Was dann? Hinter der ganzen Brüningzeitstand die Frage: Was dann? Es war eine Zeit, in der eine trübe Gegenwart nur durch die Aussicht auf eine grauenvolle Zukunft gemildert wurde.
Brüning selbst hatte dem Lande nichts zu bieten als Armut, Trübsinn, Freiheitsbeschränkung und die Versicherung, daß etwas Besseres nicht zu haben sei. Allenfalls noch die Aufforderung zu einer stoischen Haltung. Aber er war eine zu karge Natur, um auch nur dieser Aufforderung eindrucksvolle Worte zu verleihen. Er warf keine Idee, keinen Appell ins Land. Er warf nur einen Schatten von Freudlosigkeit darüber.