Pickel am Elefantenarsch

Mir geht die Musik- und Filmbranche auf den Nerv. Ich konsumiere nun schon seit Jahren nur noch in äusserst begrenztem Masse deren kommerzielle Produkte, aber langsam erscheint mir ein Boykott angemessen. Es tut mir zwar irgendwie ein bischen Leid für die “Kreativen”, aber wenn ihr euch von so einer Mafia vereinnahmen lasst, die vollständig maßlose Gesetze durchdrückt, im Namen der Profitsicherung für gesichtslose Medienkonzerne (und genau darum geht es hier) meine Internet-Vekehrsdaten haben will, Kinder kriminalisiert und das Medien-Produkt auch noch systematisch in seiner Nutzbarkeit einschränkt, ist mein Mitleid auch irgendwann zuende. Denkt euch endlich alternative Geschäftsmodelle aus, in denen das Wort “Internet” vorkommt und die mich wie einen mündigen Bürger behandeln.

Schauen wir uns auch mal kurz die makroökonomischen Fakten an, die ein IBM-Manager auf einer Popkomm vor ein paar Jahren mal sehr schön mit den Worten (sinngemäss) zusammenfasste: “Die Musikbranche ist doch wirtschaftlich betrachtet nur ein Pickel auf dem Elefantenarsch der IT-Industrie.”

Umsatz 2005 in Deutschland (alles nach eigenen Angaben der Branchenverbände):

Kino: ca. 750mil €
Video/DVD-Verleih und Verkauf: ca. 1,5Mrd €
Musikindustrie: ca. 1,5Mrd €

Zusammen: ca. 3,75Mrd €

(I am not making this up)

Internet-Industrie (nur Mitglieder des eco, d.h. die allergrössten Unternehmen):ca. 40 Mrd €
Unterhaltungsgeräte-Industrie: ca. 25 Mrd

Zusammen: ca. 65 Mrd €

Es geht also ganz grob um einem Faktor 20, nur beim Umsatz. Bei den Arbeitsplätzen sieht es vermutlich noch schlimmer aus. Um ein bischen schlechte Deutschland-sucht-den-Superschleimer-Mucke zu produzieren braucht man nicht besonders viele Leute.

Wir haben hier also eine Situation in der eine kleine, laute Minderheit der leidenden Mehrheit ihre veralteten Geschäftsmodelle per Gesetz aufzwingt. Die zuständigen Teilnehmer in Parlament und Justizministerium haben ganz offensichtlich Mangel an Ökonomen und Taschenrechnern. Die Realitäten werden wie so oft ausgeblendet. Nun wird es allerdings wirklich ernst mit Repression gegen Unschuldige und nachhaltiger Beschädigung des Wirtschaftsstandortes. So wie die Dinge laufen, wird die Abwesenheit von überzogenen Verwertungsbeschränkungen und Überwachungsstrukturen in Zukunft ein Grund sein, Unternehmen in einem Land anzusiedeln. Oder eben wegzugehen.

Die Content-Mafia fängt mit ihren überzogenen Forderungen an, ein signifikantes gesellschaftliches Risiko zu werden. Die Kriminalisierung von Kids (die ihr Taschengeld nicht für 25 € teure schlechte CDs zusammensparen wollen) durch flächendeckende Internetüberwachung und Hausdurchsuchungen ist einfach moralisch verwerflich. Es gibt dafür keine Rechtfertigung.

Kopierschutzmechanismen die die Sicherheit meiner Computer gefährden und obendrein noch die Nutzbarkeit der Inhalte so weit reduzieren, daß die Freiheit der kreativen Nutzung und der Langzeitarchivierung behindert wird, reduzieren den Wert der “Ware Content” in den negativen Bereich. D.h. effektiv kostet mich jede gekaufte CD nochmal mehr Nerven und Zeit die ich mit schönerem verbringen könnte (das kann man durchaus in Geldequivalent ausdrücken, sogenannte Opportunitätskosten), als ich ohnehin schon im Laden dafür hingelegt habe.

Der erste Schritt zur Entmachtung der Mafia ist für mich keine Musik und keine Filme zu kaufen, die ich durch “Kopierschutzmechanismen” nicht mehr so verwenden kann wie ich es für richtig halte. Wenn ich Filme oder Musik nicht verwenden kann wie ich es will, will ich sie nicht haben.

Motto: Ich werde diese Schallplatte nicht kaufen, sie ist zerkratzt. Vielen Dank.

Update: Pavel hat einen offenen Brief geschrieben der die Problemlage nochmal sehr schön erörtert.

Update 2: Im Bootsektorblog gibt es noch mehr Zahlen und eine wirklich interessante Rechnung, die die Umsatzsteigerungen anderer Branchen (z.B. Mobilfunk) bei gleichbleibendem verfügbaren Einkommen als Ursache für die Schrumpfung der Hitparaden-Profiteure ausmacht.

18 thoughts on “Pickel am Elefantenarsch

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  6. Aeris

    Heh, großartig geschrieben.
    Und wird auch dadurch bestätigt, dass die australische Tonträgerindustrie gerade über den Rückgang von MC-Verkäufen beschwert. :)
    Die leben hinterm Mond, wollen dass sich jeder den Krams 5 x kauft (Digitales File fuern MP3player, CD fuern CDPlayer, MC fuers AutotapeDeck, ZweitCD zum Verschenken, zusätzlich noch die Limited Edition mit der 2 Sekunden kürzeren Radioversion von Titel 5). Und das alles zum Preis von 20 Euro pro körperlichem Medium und 10 Euro pro unkörperlichem Medium (wobei ich zugegebenermaßen letzteren Preis echt gerechtfertigt finde).
    Da ich mich dazu in meinem Blog schon ausführlich ausgebrochen habe, füg ich statt eines langen Trackbacks aber einfach mal nen Link hierher ein :)

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  8. Pingback: Sven Giersig

  9. a.s.h.

    …irgend wie scheinen meine trackbacks hier nicht anzukommen. versuch ich’s halt so:

    […] Die Probleme der „Content-Mafia“ mit dem „digitalen Kapitalismus“ werden offensichtlich zunehmend zum Hindernis bei der Entwicklung des kapitalistischen Marktes selbst. Sehr viele Leute wollen den schnellen, kostenlosen oder sehr preiswerten Zugriff auf Musik, Filme usw., vergleichbar mit dem was sie von den klassischen Medien Radio und TV, Kino bisher gewohnt waren, nur „selbstbestimmter“. Sie wollen Mp3- und Videodateien tauschen und verschenken, so wie es ihnen passt, sie wollen „freie“ oder „befreite“ Software. […]

    http://www.ostblog.de/2006/03/contentmafia_1.php

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