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Krieg nach Zahlen

In der Frankfurter Allgemeinen von gestern (Samstag) ist ein längerer Beitrag von mir mit dem Titel “Krieg nach Zahlen” (und einem schönen Foto aus War Games) erschienen. Entstanden ist er in Rekordgeschwindigkeit, nachdem mir bei der Suche nach Interessantem in den jüngst veröffentlichten Wikileaks-Dokumenten zu Afghanistan eine Abkürzung aufgefallen war – “J3 ORSA”. ORSA steht für “Operations Research Systems Analysis”, J3 für die Abteilung Operations beim Generalstab der US-Streitkräfte.

Ich hatte schon vor einer geraumen Weile einiges über militärisches Operations Research zusammengetragen, aus Online-Fachmagazinen und -büchern, autobiographischen Werken von Militärs und vor allem Berichten über die Rolle der Wissenschaft im Zweiten Weltkrieg und im Vietnamkrieg. Es war aber immer alles ein wenig zu abstrakt und historisch, ohne rechten Bezug zur heutigen Zeit, nicht gut zusammenzuschreiben. Also blieb das Material liegen. Beim Durchsehen der Wikileaks-Berichte formte sich dann plötzlich ein plastisches Bild wie ORSA heute aussieht. Extrem viele der Wikileaks-Afghanistan-Meldungen haben einen ORSA-Bezug, die Neugier war wieder entfacht. In Kombination mit einem geleakten Powerpoint-Chart des Ex-Kommandierenden in Afghanistan, McCrystal, ergab sich ein ziemlich erschreckendes Bild von der Art und Weise, wie Kriege heute geführt und geplant werden. Das Chart ist offenbar der Output einer Dynamic-System-Modellierung, die versucht, alle wesentlichen Parameter für eine erfolgreiche Counter-Insurgency-Strategie für Afghanistan abzubilden. Selbst die Stimmungslage in der eignen Bevölkerung zum Krieg ist nur ein Parameterfeld, daß beeinflußt werden muss, um das gesteckte Endsiegziel zu erreichen. Die Parallelen und Verbindungen zu den Methoden der Geschäftswelt, wo die gleichen Optimierungsideologien angewendet werden, um Profit zu maximieren und Rationalisierungseffekte zu realisieren, sind erschreckend.

Der Artikel ist gerade noch hinter der Paywall, hoffe er kommt da bald hinter vor, dann update ich den Link. nun auch Online frei zu lesen.

Die Piraten und der “Datenschutz”

An der Piratenpartei interessiert mich ja primär der einzige wirklich revolutionäre Ansatz für eine andere Politikmechanik, das Liquid- Democracy (bzw. Liquid Feedback)-System. Ich habe schon seit langem gesagt, daß ohne Liquid Democracy die Piraten nur eine langweilige Nischenpartei bleiben werden, die irgendwann wieder in der zersplitterten Versenkung verschwindet. Nun tobte in der Partei in den letzten Wochen der Kampf um die Modalitäten und Regeln, der gerade in einem Vorstandsbeschluß kulminierte, das Liquid-System erstmal nicht wie geplant ab heute anzuschalten sondern “die Zeit [zu] nehmen, die wir für einen perfekten Datenschutz benötigen.”

Ich muss das hier nach Gesprächen mit Partei-Insidern mal ein wenig erläutern: Im Kern geht es darum, ob jemand, der sich um ein politisches Amt in der Partei bewirbt, per parteiinterner sozialer Konvention dazu bewegt wird, seine Anonymität bezüglich vergangener innerparteilicher Meinungsäusserungen und Sachabstimmungen aufzugeben und so dem Partei-Wahlvolk einen Einblick in seine tatsächlichen Haltungen und Meinungen gewährt. Endlich eine effektive Methode, die vor “was schert mich mein Geschwätz von gestern…”-Politikergestalten schützen kann.

Wohlgemerkt, es geht nicht um Offenlegen der Abstimmungen über Kandidaten – die finden weiter geheim und per Urnenwahl statt – nur um Sachdebatten- und abstimmungen. Also Dinge, bei denen auch in traditionellen Parteien keine Anonymität oder Geheimabstimmung üblich ist. Weiter geht es um die Offenlegung wer seine Stimme im Liquid an wen delegiert hat. Letzteres macht innerparteiliche Seilschaften und Beziehungen transparent, ein großartiges Feature. Nun ist derart radikale Transparenz nicht jedermans Sache, es mauschelt sich ja dann nicht mehr so gut. Zudem gibt es offenbar Landesverbände, die lieber das traditionell vergammelte Wahldelegiertenmodell mit Bundeslandproporz und ähnlichem bevorzugen – ein sicherer Weg in die parteilpolitische Irrelevanz.

Da man natürlich nicht so direkt sagen kann, daß man radikale Transparenz in der Politik doof findet, kamen die Liquid-Gegner mit einer schönen Killerphrase: der Datenschutz muß gesichert werden! Böse formuliert: das Recht, anonym zu trollen soll gewahrt bleiben, weil niemand sehen können soll, wie sein zukünftiger Vorsitzender abgestimmt und debattiert hat. Das tatsächliche Datenschutz-Konzept incl. Erklärung ist, wie mir Partei-Insider berichten, ziemlich vorbildlich und gründlich von Profis erarbeitet worden. Die technische Sicherheit ist ausführlich geaudited worden. Es geht also hier nicht um “Datenschutz”, sondern ums Prinzip, um die Furcht vor Transparenz.

Die Diskussionen in der Partei in den nächsten Monaten dürften mit die spannendsten in der neueren deutschen Parteiengeschichte werden. Auch wenn die Details ziemlich obskur klingen: falls die Piraten daran scheitern diese innerparteiliche dynamische, transparente Entscheidungsfindung zu etablieren, ist eine der wesentlichen Chancen auf eine grundlegende Renovierung des politischen Systems in Deutschland vergeben worden. Der Vorbildcharakter für andere Parteien ist enorm. Falls es schiefgeht werden die Betonköpfe in den Altparteien sich wieder beruhigt zurücklehnen und zu business as usual zurückkehren. Wenn die Piraten es aber schaffen, daß z.B. die Einzelpunkte des nächsten Berliner Senats-Koalitionsvertrages quasi direkt über das Liquid-System mit der Parteibasis erarbeitet und verhandelt werden, gibt es eine solide Möglichkeit der radikalen Änderung der Usancen des Politikbetriebes.

Ich kann mich da also nur wiederholen: Liebe Piraten, bitte vermasselt das mal nicht. Alle Eure anderen Positionen und Punkte sind demgegenüber nicht von Gewicht.

PS: Die verschiedenen Aspekte der Debatte hatte ich neulich mal mit Maha in einem Klabautercast ausführlich debattiert und beleuchtet. Unter anderem, warum Liquid und Wahlcomputer wenig miteinander zu tun haben und was es für einfache Methoden gibt, Transparenz und das Recht auf eine geänderte Meinung unter einen Hut zu bringen.

Achja, Flattr.

Aufmerksamen Lesern wird sicher der kleine Flattr-Button unter jedem Beitrag aufgefallen sein. Flattr ist ein System, mit dem man seine Wertschätzung für etwas im Netz mit einer kleinen Spende ausdrücken kann (wers noch nicht kennt, das EInführungsvideo bei Flattr ist gut.)

Warum? Nun, ich bin schon seit vielen Jahren der Meinung, daß das durch diverse Faktoren bedingte Nicht-Erscheinen eines funktionsfähigen Micropayment-Systems eines der wirklich gravierenden Probleme der digitalen Zeit ist. Wir haben im CCC und Umfeld schon lange vor Flattr angefangen an Konzepten für Micropayment-basierte Finanzierungsmodelle für Contentproduktion herumzudenken, die Ergebnisse gibts dann hoffentlich in nächster Zeit auch öffentlich zu debattieren. Insofern finde ich Flattr ein hochspannendes Experiment, und wie immer gilt auch hier die Maxime das man am besten über Sachen reden kann, die man selber ausprobiert hat. Deswegen hier jetzt also Flattr-Buttons. Eventuelle Einnahmen werde ich ganz selbstlos für hedonistische Inspirationssteigerungsmaßnahmen verwenden. Wenn es gelohnt hat gibt es davon hier auch Bilder. :-)

An der Konstruktion von Flattr stören mich vor allem die Transaktionsgebühren (was aber in einem kommerziellen Modell kaum anders geht) und die Tatsache, das eine zentrale Entität trackt, wer was mag. Vor dem Hintergrund, das die Leute hinter Flattr dank ihrer PirateBay-Vergangenheit einen gewissen Vertrauensvorschuss geniessen, finde ich das für so ein Experiment in der Beta-Phase noch ansatzweise akzeptabel, als Dauerzustand aber nicht haltbar. Technisch ist es nicht zwingend nötig. Aber das kann ja auch noch werden.

Because we can?

Macht es einen Unterschied, ob eine individuelle Freiheit von Firmen im industriellen Maßstab genutzt wird, oder ein ähnlicher Effekt durch massenweise Aggregation der Resultate individuell ausgeübter Freiheit erzielt wird, wenn das Endergebnis eine Einschränkung der Freiheit vieler ist?

Was wäre, wenn Google die in 5 Jahren nur noch 500 Euro kostenden Streetview-Cams auf jedes Taxi, jeden Bus schraubt und die Updates per Mobilfunk in den Innenstädten im Minutentakt erfolgen, mit unbegrenztem Zugriff auf die gespeicherten Aufnahmen anhand von Zeit und Ort, angereichert mit den GPS-getagten Bildern aus Flickr, Picasa & Co.? Wäre das dann immer noch harmlos, nützlich und cool?

Wo also liegt die Grenze, an der die Nützlichkeit den Nachteil für die Allgemeinheit nicht mehr aufwiegen kann? Müssen wir wirklich individuelle Rechte einschränken und begrenzen, damit diese nicht von Firmen industriell benutzt und so letztendlich ihres Kerns beraubt werden? Oder wäre es vielleicht besser, eine klare Trennung zwischen Rechten des Individuums und denen von Firmen etc. zu finden? “Wir Diskordier müssen auseinanderhalten” gilt im Zeitalter müheloser Datenaggregation mehr denn je.

Der gerade durch die bayerischen Rauchverbotsentscheidung manifestierte Trend zur Zwangsbeglückungsgesellschaft kann vom Ausblick auf eine vollverdatete Umgebung nicht isoliert betrachtet werden. In einer Gesellschaft, in der ungesundes Verhalten des Einzelnen nicht mehr geduldet werden kann, weil er ja das Kollektiv der Zahlungspflichtigen schädigt, sind die Plompomplomschen Illusionen einer rundum besseren Gesellschaft durch ubiquitäre Datenverfügbarkeit endgültig geplatzt.

Objektivierung und Effizienzwahn bei der Durchsetzung von Kleinstadtmoralvorstellungen sind nunmal die natürlichen Feinde von Freiheit und Glück.

Update: Ich beziehe mich beim Rauchverbotskontext natürlich auf Andrea Nahles “Ich habe ein Recht auf ungesundes Leben” , das hätte wohl explizit erwähnt werden sollen.

Wahlcomputer – das (vorläufige) Finale

Die meisten Leser werden es schon mitbekommen haben, das Bundesverfassungsgericht hat heute über die Zulässigkeit von Wahlcomputern geurteilt. Wie es immer so ist mit BverfG-Urteilen, sie sind umfangreich und komplex, d.h. man kann nicht erwarten alle Facetten beim ersten Lesen am ersten Tag zu verstehen. Der klare, eindeutige Teil: NEDAP, PTB und BMI haben eine gewaltige Klatsche bekommen. Das gesamte Verfahren der geheimen Prüfungen, “geschützten Umgebungen”, Black-Box-Wahlcomputer usw. ist einmal ohne Umweg in den Orkus gewandert. Mindestens die Wahlen dieses Jahr werden mit Zettel und Stift stattfinden. Dafür hat sich der ganze Aufwand schonmal gelohnt, auch wenn das Frühaufstehn zum Wahlbeobachten manchmal etwas hart war.

Der komplexere Teil des Urteils betrifft die Zukunft. Das BVerfG hat definiert, daß der Grundsatz der Öffentlichkeit bedeutet, daß jeder Wähler ohne Fachkenntnisse die Korrektheit der Stimmabgabe und Auszählung prüfen können muss. Auch wenn jetzt in der Presse ein bißchen über Paper Trail oder Wahlstift spekuliert wird, ich glaube kaum, daß solche Systeme in der Praxis durchsetzbar sind.

Die Gründe dafür sind vielfältig und umfangreich (siehe z.B. ausgewalzt bei Pavel ab Seite 25 ). Das Kernproblem ist jedoch, daß jeder Wähler eine Nachzählung des Papiers verlangen können muss und damit die Anschaffung der Wahlcomputer nicht mehr ökonomisch zu argumentieren ist. Wenn nicht jeder Wähler vorraussetzungslos ein Nachzählen verlangen kann, ist er in seinen verfassungsmäßigen Rechten beschnitten. Auf der technischen Ebene ist es nebenbei bemerkt wirklich kostspielig und knifflig, einen abstrahlungsgeschützten Drucker zu bauen, der das Wahlgeheimnis wahren kann. In den Niederlanden wurden daher entsprechende Versuche, die Elektroschrott-NEDAPs nachzurüsten aufgegeben.

Der Wahlstift sah auf den ersten Blick wie eine technisch gangbare Lösung für das Problem aus. Nur stellte sich im Zuge des Versuchs der Einführung in Hamburg heraus, daß die Bürgerschaft die Anschaffung des Systems nicht einmal erwägen würde, wenn die Ressourcen für eine komplette Handauszählung bereitgehalten werden müssten – was nach dem BVerfG-Urteil nun der Fall ist. Der Grund, warum wir so viel Arbeit in die Analyse des Wahlstift-Systems gesteckt haben, war ja genau die Beschränkung der Handauszählung auf ein paar Stichproben, wodurch der Wahlstift de facto zum Blackbox-Wahlcomputer wurde, was wiederum erst die erhofften ökonomischen Vorteile in Aussicht gestellt hätte. Das Problem, daß Wähler ihren eigenen Kugelschreiber mitbringen könnten um damit zu wählen (was das elektronische Ergebnis komplett unbrauchbar macht), kommt verschärfend hinzu.

Natürlich sehen die Fortschrittsfreunde in der Politik (die sonst bizarrerweise eher der Fraktion der Internetausdrucker angehören…) alles ganz anders und werden weiter versuchen, dem “Zeitgeist” zum Durchbruch zu verhelfen. Es bleibt also spannend und arbeitsreich. Meine leise Hoffnung, daß das Thema nach dem Urteil abgegessen ist und ich mich anderen Baustellen zuwenden kann war wohl leider illusorisch…

Das Glühbirnenproblem

Wie so einige Leute bin ich, gänzlich ökologisch unkorrekt, ein Freund der guten alten Glühbirne. Ich mag die Wärme und das flimmerfreie, weiche Licht. Angesichts des anstehenden Verbots durch die EU bleiben nur zwei Alternativen: Strategische Glühbirnenbevorratung. Oder eine Energiesparlampe finden, die nicht kaltweiss flimmernd nach fünf Minuten ein kümmerliches Pseudolicht von sich gibt, das in den Augen beißt und unfroh macht.

Die Bevorratung scheint möglich, aber realistisch werde ich irgendwann auf Schmuggel aus Osteuropa und Asien zurückgreifen müssen.

Um der Technik eine Chance zu geben kaufe ich immer auch mal wieder so High-End Energiesparlampen. Derzeitiger Kandidat im Test: Osram Dulux Superstar Lumilux Warm White 21W/827. Bei der genauen Lektüre der Verpackung fiel eine sehr merkwürdige Angabe zur Lebensdauer auf, die ja angesichts des Anschaffungspreises von Energersparlampen eine wesentliche Rolle spielt: Offenbar hält die Lampe in Großbritannien bei gleicher Nutzungsintensität nur 6 statt 10 Jahre. Nein, sie haben auch in UK 220-240V und 50 Hz. Es gibt da nur seltsame Steckdosen, sonst ist der Strom gleich.

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Wahrscheinlich denkt sich Osram, daß sie uns nun alle schon so erfolgreich über den Löffel balbiert haben (Osram hat Ende der 90er seine Glühbirnenwerke weitgehend an minderschlaue Investoren verkauft und dann durch Lobbying mit für das Glühbirnenverbot in der EU gesorgt), daß es auch nicht weiter auffällt, wenn sie jetzt beim wesentlichen Werbeversprechen der Energiesparlampen rummauscheln. Irgendwie habe ich mir die ökologische Revolution schöner vorgestellt…

Update: Mein Freund Tobias hat bei Osram nachgefragt und auch eine Antwort bekommen. Es sei ein Druckfehler sagt Osram, eine neue Verpackung mit 10.000 Stunden Betriebsdauer in allen Ländern ist in Vorbereitung. Na gut. Immerhin gab uns das Gelegenheit mal über das Glühbirnenproblem und das europäische Stromnetz zu sprechen. Ersteres wird uns wohl noch eine weile begleiten…

NDR rockt

Die Satireabteilung des NDR hat verstanden und postet Extra 3 und Zapp unter Creative Commons Lizenz. Äusserst lobenswert. Wie mir zugetragen wurde, bekommen sie von den Internetausdruckern in den Sesselfurzeretagen Druck, den coolen Service wieder einzustellen. Die Contentmafia ist immer noch an den Hebeln und versucht sich mit Zähnen und Klauen an ihren überkommenen Geschäftsmodellen festzubeissen, auch in der öffentlich-rechlichen Sphäre.

Also: Draufklicken und ansehen, wir haben das schon bezahlt! . Zumal Zapp und Extra 3 nun wirklich Glanzstücke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind.

Dear OpenOffice fanatics,

After testing OpenOffice for four days and now spending a couple of hours to get my work extracted from the unreleting claws of your software, I have concluded that it is a piece of nicely decorated useless junk. That you still distribute it without a red blinking “This software will eat your data. And it will not even belch after doing it.”-warning is bordering on intentional neglect of other peoples work and time spent. Clearly, this software has only been tested by writing two-page Linux-propaganda pamphlets, but never for serious stuff. Excuse me while I will ignore all “Linux to the Desktop”-phantasies for the next half decade.